Strom, Wärme und sogar Treibstoff lassen sich auch aus Klärschlamm von Abwasser gewinnen. Kläranlagen nutzen dieses Potenzial und werden so zu Energieproduzenten.
Erfahren Sie im Video, warum der ARA Yverdon die Abwassernutzung ein grosses Anliegen ist.
Beim Besuch einer Kläranlage, auch Abwasserreinigungsanlage (ARA) genannt, erfährt man erstaunlich viel über die Produktion erneuerbarer Energien. Zum Beispiel in der ARA Morgental im sankt-gallischen Steinach. Hier werden aus Klärgas, gereinigtem Abwasser, Altholz, Sonne sowie Wind Strom und Wärme gewonnen. Zurzeit wird ein Batteriespeicher aufgebaut, und auch eine Ökostromtankstelle ist in Betrieb. Alles in allem liefert der Abwasserverband Morgental Strom und Wärme für 15 000 Menschen. «Eigentlich müssten wir eine Umbenennung in einen Energiepark ins Auge fassen», scherzt Geschäftsführer Roland Boller.
Auch in der ARA von Yverdon VD spielen erneuerbare Energien eine grosse Rolle. «Wir verfolgen seit Jahren dieselbe Philosophie», sagt Sandro Rosselet, Chef des städtischen Bau- und Umweltamts, welches für die Kläranlage zuständig ist. «Abwasser ist für uns eine Ressource, die wir möglichst gut nutzen wollen.» Auf dem Dach eines der Betriebsgebäude geht der Blick von den Faultürmen, wo aus dem Klärschlamm Gas gewonnen wird, über eine grosse Photovoltaikanlage bis zu den Jura-Höhen.
Unser Ziel ist, die gesamte Energie, die wir zum Betrieb unserer Anlage benötigen, selbst zu produzieren.
Zuerst zeigt der ARA-Leiter Julien Ming zwei gewaltige Gebläse. Sie komprimieren Luft und blasen diese in die Klärbecken. Hier sorgt die Luft für eine gute Durchmischung und beliefert die Bakterien, welche die Fäkalien zersetzen, mit Sauerstoff. Knapp ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs der Kläranlage entfällt auf die Gebläse. Produziert wird die Energie einen Stock tiefer mit einem Blockheizkraftwerk. Konkret: Mit dem Klärgas werden drei umgebaute Lastwagenmotoren betrieben und so zugleich Strom sowie Wärme erzeugt. «Unser Ziel ist, die gesamte Energie, die wir zum Betrieb unserer Anlage benötigen, selbst zu produzieren», erklärt Julien Ming. Dies ist viel, verbraucht doch die ARA Yverdon etwa so viel Energie wie 400 Haushalte zusammen.
Die ARA Morgental hat einen anderen Weg gewählt, und das hat mit der grossen Menge produzierten Stroms zu tun. «Wir sind mittlerweile eher ein Kraftwerk», sagt Roland Boller. Auf dem Gelände wird nämlich nicht nur Strom aus Klärgas gewonnen, auch Photovoltaikanlagen, eine Windturbine und sogar ein kleines Wasserkraftwerk produzieren Strom. Betrieben wird Letzteres mit dem gereinigten Abwasser der höher gelegenen ARA St. Gallen-Hofen, das durch eine Druckleitung hinunter nach Morgental geleitet wird und hier eine Turbine antreibt. Den Strom, den die ARA Morgental mithilfe all dieser Technologien produziert, verbraucht sie nicht nur selbst, sondern sie beliefert damit auch Aussenstehende. Darunter den Netzbetreiber Swissgrid.
Ein Pilotversuch zeigte, dass sogenanntes «Regelpooling» technisch möglich ist, wenn sich mehrere stromproduzierende Kläranlagen zusammenschliessen. Für diesen Beitrag zur Verbesserung der Stromversorgungssicherheit wurden die vier am Versuch beteiligten ARA aus dem Kanton St. Gallen mit dem InfraWatt-Innovationspreis ausgezeichnet. Vor dem Hintergrund dieser Auszeichnung meldete der Kanton St. Gallen 2018, dass die 42 Kläranlagen im Kanton die Stromproduktion innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt und ihren Stromverbrauch um ein Zehntel gesenkt haben.
Seither ist vielerorts der Stromverbrauch aber wieder gestiegen. Der Grund: In den vergangenen Jahren wurden die grössten ARA der Schweiz mit einer sogenannten vierten Reinigungsstufe aufgerüstet, mit der sich Mikroverunreinigungen eliminieren lassen. Dieser zusätzliche Reinigungsschritt verbraucht viel zusätzliche Energie. Die Kläranlage Yverdon etwa konnte 2020 vermelden, man sei nun zu 90 Prozent energieautark. Doch dann kam der Ausbau mit der vierten Reinigungsstufe, und der Energieverbrauch stieg um 25 Prozent an. Dennoch haben die Verantwortlichen beschlossen, die Energieproduktion zu steigern. Dazu wurde im Herbst 2025 eine zusätzliche Photovoltaikanlage gebaut. Um der ARA zur energetischen Unabhängigkeit zu verhelfen, hat die Stadt Yverdon einen Kredit von 2,5 Millionen Franken bewilligt. Erstellt wird die neue PV-Anlage über den Nachklärbecken.
Mit der angestrebten Inwertsetzung der Ressource Abwasser hat dieses Projekt direkt nichts zu tun. Andere Aktivitäten im Portfolio hingegen schon.
So werden unter anderem mit Wärme, die dem Abwasser entnommen wird, die Treibhäuser der Stadtgärtnerei geheizt. Potenziell liesse sich dem Abwasser noch weit mehr Wärme entnehmen und in ein externes Wärmenetz einspeisen. Dies war jedoch nie das Ziel: «Wir brauchen die Wärme selbst, damit die Reinigungsprozesse optimal ablaufen», betont Julien Ming.
Doch auch das gereinigte Abwasser ist vor seiner Einleitung in den Neuenburgersee noch warm genug für eine weitere Nutzung. Genau das tut mithilfe einer Wärmepumpe die Firma Y-CAD SA, die in Yverdon ein Fernwärmenetz betreibt. Die Wärme aus dem gereinigten Abwasser ist allerdings nur eine von mehreren genutzten Quellen. Hauptaktionärin von Y-CAD ist die Stadt.
Abwasser als Ressource zu nutzen, bedeutet in Yverdon aber nicht nur, damit Energie zu gewinnen. In der Kläranlage wird das gereinigte Wasser auch wiederverwertet. Nachdem es energiesparend aufbereitet und unter anderem mit UV-Strahlen behandelt wurde, kommt es zum Beispiel in den Maschinen zur Strassenreinigung zum Einsatz. Es hat die Qualität von Badegewässern und wird deshalb auch zum Bewässern der benachbarten Fussballfelder genutzt. Noch ist diese Verwendung von ARA-Wasser ein Pilotprojekt. In der Schweiz gibt es keine Normen für den Einsatz von gereinigtem Abwasser. Doch wenn Mittelmeertemperaturen im Sommer auch bei uns zur Regel werden, könnte das Modell aus Yverdon Schule machen.

