Fassaden aus natürlichen und langlebigen Materialien können die Energiebilanz eines Hauses verbessern und zu einem ausgeglichenen Raumklima beitragen. Ein Beispiel dafür ist eine innovative Lösung mit Wärmedämmsteinen.

Backsteine sind Kinder der Hitze. Ralf Müller steht auf dem mehrere Dutzend Meter langen Ofen in der Ziegelei der Firma Kubrix in Schlatt TG und deutet auf seine Füsse. «Unter uns ist es 1000 Grad heiss», sagt der stellvertretende Verkaufsleiter des schweizweit tätigen Backsteinproduzenten. Momentan bewegt sich eine Palette mit einem gängigen Modul-Backstein-Typ durch den Ofen.
Aber Kubrix bäckt hier auch neuartige Fassadensteine. Zum Beispiel einen grossen, aber filigran aufgebauten Blockstein, den Ralf Müller im Lager vor dem Ziegeleigebäude zeigt: Die Stege zwischen den vielen, schmalen Hohlkammern sind feiner und folgen einem ausgeklügelten Muster. «Das erhöht die Wärmedämmung», erklärt Müller. Denn Wärme oder Kälte kriechen über die verästelten Verbindungen nur langsam durch den Stein hindurch.
Der Wärmedämmstein ersetzt die Kunststoffdämmung, die heute bei ungefähr 80 Prozent der Gebäudefassaden verbaut ist.
Solche Wärmedämmsteine können alleine, als sogenanntes Einsteinmauerwerk, eingesetzt werden. Oder aber in Kombination mit einer zweiten Backsteinschale. Gemeinsam mit weiteren Partnern haben die Hochschule Luzern (HSLU) und Kubrix ein solches Fassadensystem entwickelt, das bereits in ersten Bauprojekten angewendet wird. Es trägt den Namen KISmur, und Ralf Müller zeigt an einer Versuchsfassade auf dem Ziegelei-Areal, wie es funktioniert: Die hintere Schale des Mauerwerks besteht aus herkömmlichen Backsteinen, sie bildet die tragende Schicht des Gebäudes. Die vordere Dämmschicht besteht aus dem weichen Wärmedämmstein, den Abschluss macht ein mineralischer Aussenputz.
«Der Wärmedämmstein ersetzt die Kunststoffdämmung, die heute bei ungefähr 80 Prozent der Gebäudefassaden verbaut ist», sagt Müller. Kunststoffisolationen haben laut ihm mehrere Nachteile. Ihre Lebensdauer ist mit ungefähr 30 Jahren relativ kurz. Sie sind kaum wiederverwendbar, unter anderem weil sie oft Pestizide und Flammschutzmittel enthalten.
Beim KISmur-System hingegen bestehen sowohl der innere Backstein als auch der äussere Wärmedämmstein ausschliesslich aus mineralischen Stoffen, hauptsächlich aus Ton. Um seine Struktur leichter zu machen, werden dem Dämmstein Anteile von Sägemehl und ein Nebenprodukt aus der Papierherstellung beigemischt. «Er ist nicht brennbar und dauerhaft», sagt Müller. Zwar ist der Brennprozess energetisch aufwendig. Statt einer Lebensdauer von 30 Jahren erreicht der Dämmstein 90 Jahre oder mehr, genau wie das tragende Mauerwerk, was laut Hersteller- und HSLU-Berechnungen die Nachhaltigkeitsbilanz verbessert.
Das Backstein-Fassadensystem isoliert nicht nur, sondern weist auch eine hohe Wärmespeicherfähigkeit auf. «Das trägt zu einem stabilen Raumklima bei, sowohl im Winter als auch im Sommer», sagt Marvin King, Dozent und Forschungsgruppenleiter am Institut für Gebäudetechnik und Energie der HSLU. Er war an der Entwicklung von KISmur beteiligt.
Diesen Vorteil betont auch Lukas Grossert, Geschäftsleitungsmitglied beim Architekturbüro Dahinden Heim Partner Architekten AG in Winterthur. «KISmur ist eine spannende Alternative bei verputzten Fassadenkonstruktionen für qualitativ hochwertige Bauten.» Die Materialeigenschaften regulierten den Feuchtigkeitshaushalt auf natürliche Weise und sorgten für ein angenehmes Raumklima.
Grossert setzt KISmur bevorzugt bei kleineren Mehrfamilienhäusern ein – und eher in einem höherpreisigen Segment. Denn in der Erstellung ist das neue System etwas teurer als ein Bau mit Kunststoffdämmung. Allerdings sind die Lebenszykluskosten nach Berechnungen der HSLU wegen der viel späteren Fassaden- und Putzerneuerungen deutlich geringer.
Trotzdem: Auf breiter Ebene durchgesetzt hat sich das neue System noch nicht. Nach Angaben von Kubrix arbeiten derzeit verschiedene Architekturbüros mit dem System, doch viele potenzielle Anwenderinnen und Anwender kennen es bisher nicht. Laut Marvin King könnte ein Grund dafür die Dimension des zweiteiligen Mauer- und Fassadenwerks sein. «Bei einem Einfamilienhaus kann KISmur teilweise überdimensioniert wirken und Hemmschwellen erzeugen.»
Marvin King arbeitet momentan im Rahmen eines Innosuisse-Forschungsprojekts an einer Weiterentwicklung des Wärmedämmsystems für Gebäudesanierungen. «Für die Aussendämmung haben wir nun einen etwas schlankeren äusseren Dämmstein von 30 Zentimeter Dicke entwickelt.» Das komme Bestandsbauten besser entgegen, zumal damit auch die energetischen Anforderungen weiterhin eingehalten werden können. Simulationen und Versuchsaufbauten zeigen laut King, dass der Stein – in Kombination mit einem geeigneten mineralischen Putz – auch bei Sanierungen gute bauphysikalische Eigenschaften aufweist.
Fassaden hätten sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt, sagt Marco Röthlisberger, Leiter Technik beim Fachverband Gebäudehülle Schweiz. Die verschärften energetischen Vorgaben hätten zu deutlich dickeren Fassadenaufbauten geführt. «Dadurch mussten auch die Unterkonstruktionen angepasst und weiterentwickelt werden», sagt er. Gebäudehülle Schweiz legt historisch bedingt den Fokus auf die vorgehängten hinterlüfteten Fassaden. Dabei wird eine äussere Fassadenverkleidung durch einen Luftraum vom Tragwerk und der Dämmung getrennt – im Gegensatz zu monolithischen Systemen wie KISmur, bei denen Dämmung und Verkleidung direkt an der tragenden Wand befestigt werden. „Es gibt sehr robuste und langlebige Systeme, die wenig Unterhalt benötigen und sich sortenrein trennen und rückbauen lassen.» Zudem eignen sich Hinterlüftungen laut Röthlisberger hervorragend für die Montage von Solarmodulen. «In Zukunft werden Solarmodule an Fassaden stark zunehmen – farbige Module mit immer besserem Wirkungsgrad werden die Akzeptanz weiter erhöhen.»
Weitere innovative Fassadensysteme
An der ETH Zürich steht ein weltweit einzigartiges Labor mit einer künstlichen Sonne. Hier lassen sich innovative Fassaden unter realitätsnahen Bedingungen testen: Sonnenstand, Strahlung, Temperatur und Feuchtigkeit können exakt simuliert werden. Die Forschenden entwickeln dabei neue Lösungen wie halbtransparente Fassaden aus 3D-gedruckten Polymeren, die je nach Einfallswinkel Sonnenlicht abschirmen oder durchlassen.
Ein anderer Ansatz sind die 3D-Solar-Fassadenelemente der Firma Energy Independence AG. Sie lassen im Winter Licht ein und erwärmen die dahinterliegende Wand, während 3D-gedruckte Betonlamellen im Sommer Schatten spenden und den Wohnraum kühlen.
Die Hochschule Luzern (HSLU) hat mit Keller Unternehmungen modulare Werkzeugaufsätze entwickelt, mit denen sich die Oberfläche von Backsteinen individuell und doch serienmässig gestalten lässt. Unter dem Namen «kelesto Signa» sind entsprechende Klinker mit Reliefstrukturen erhältlich.