Ob Mieter, Hauseigentümerin oder Gemeinde: Neue Stromverbünde machen Energie zur Gemeinschaftssache. Sie ermöglichen, dass Solarstrom dort genutzt wird, wo er entsteht – direkt in der Nachbarschaft.
Eva Antonini aus Lugaggia schildert im Video, welche Erfahrungen sie mit dem Stromverbund in ihrer Gemeinde gemacht hat.
Das am 1. Januar 2025 in Kraft getretene Stromgesetz (Mantelerlass) ermöglicht es unter anderem, lokal produzierten Solarstrom einfacher vor Ort zu verkaufen und zu konsumieren. Dadurch sollen auch Mieterinnen und Mieter, die keine eigene Photovoltaikanlage installieren können, von den Vorteilen des Solarstroms profitieren können. «Die Mieter auf diese Weise zu Akteuren der Energiewende zu machen, war eine revolutionäre Idee», sagt Wieland Hintz vom Bundesamt für Energie BFE. Die neuen Stromverbünde, so der Verantwortliche Solarenergie, seien beliebt, und die Anzahl der Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (ZEV) wachse schnell.
In ihrem Netzgebiet, so schätzen die Bernischen Kraftwerke (BKW), waren Ende 2025 rund 4000 Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch aktiv. Virtuelle Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (vZEV) gab es bis Ende 2025 etwa 180 (siehe Zweittext „Die neuen Stromverbünde auf einen Blick“).
Ähnlich sieht es bei den Centralschweizerischen Kraftwerken (CKW) aus: Seit Anfang 2025 wurden in ihrem Versorgungsgebiet rund 220 vZEV registriert. Vor allem bei bestehenden Liegenschaften seien virtuelle Zusammenschlüsse interessant, da keine Anpassungen an den elektrischen Installationen nötig sind, erklärt André Rast von den CKW. Gemäss Gesetz sind alle Schweizer Stromversorger verpflichtet, die verschiedenen Formen der neuen Verbünde in ihrem Gebiet zu erlauben. «Dass wir Stromverbünde ermöglichen, ist ein Auftrag des Gesetzgebers. Ein Geschäftsmodell sind sie für unser Unternehmen nicht», erklärt BKW-Mediensprecher Manfred Joss.
Auch für den Tessiner Energieversorger Azienda Elettrica di Massagno (AEM) rechnen sich die Zusammenschlüsse nicht. Doch mittelfristig könnten sie dazu beitragen, das Netz zu entlasten, wenn in Spitzenzeiten viel Solarstrom produziert wird, sagt Daniele Farrace, der Chief Innovation Officer. Das Interesse der AEM an neuen Stromverbünden ist jedenfalls da: Der Energieversorger hat die «Lugaggia Innovation Community» (LIC) initiiert, ein vom BFE unterstütztes Pilot- und Demonstrationsprojekt im Dorf Lugaggia in der Region Lugano. Der Versuch zwischen 2019 und 2022 verlief positiv. Der ZEV wird weitergeführt und das gelungene Praxisbeispiel stiess weit über das Tessin hinaus auf Interesse.
Ausgangspunkt für den Zusammenschluss war der Neubau eines Kindergartens mit einer PV-Anlage auf dem Dach. Für überschüssigen Solarstrom während der Sommerferien suchte die Gemeinde Abnehmer. So entwickelte sich schliesslich ein ZEV mit sechs weiteren Solaranlagen als Anbieter und 18 benachbarten Einfamilienhausbesitzerinnen und -besitzern als Abnehmer des Stroms. Je nach Verbrauch fallen die Einsparungen unterschiedlich hoch aus. Doch über den ganzen Verbund gesehen sind die Stromkosten um 3000 bis 4000 Franken pro Jahr gesunken. «Das Gesetz sah vor, dass bei einem ZEV alle Haushalte, die an demselben Anschlusspunkt angeschlossen sind, mitmachen. Bei 18 Hauseigentümern bedeutete das viel Überzeugungsarbeit», betont Daniele Farrace.
Weil seit Anfang des Jahres die Gründung von Lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) möglich ist, befassen sich neuerdings nicht nur Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer mit neuen Stromverbünden, sondern auch Gemeinden, so etwa Köniz bei Bern. Sie will den Ortsteil Mittelhäusern zum Reallabor machen, das zeigen soll, wie im Jahr 2050 in der Schweiz eine 100-prozentig erneuerbare Energieversorgung aussehen könnte. Der Einsatz von Solarenergie habe in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte erzielt, dennoch sei in der Schweiz bisher keine Ortschaft bekannt, die ihr Potenzial systematisch nutze.
Eine wichtige Rolle bei der Energiezukunft von Mittelhäusern spielt eine LEG. Das Projekt sieht vor, auf allen grösseren Dächern Photovoltaikanlagen mit Batteriespeichern zu bauen. Wie eine Studie der Berner Fachhochschule zeigt, ist es dank intelligenter Steuerung möglich, den Solarstrom gleichmässig und über längere Zeit in die neue LEG einzuspeisen. Gemäss der Studie steht so zusammen mit der Schweizer Wasserkraft genügend erneuerbare Energie zur Verfügung, um alle heute noch verwendeten fossilen Energien zu ersetzen. «Wir wollen die neuen Möglichkeiten der lokalen Elektrizitätsgemeinschaften nutzen und so die regionale Wertschöpfung steigern», schreibt die Gemeinde in einer Mitteilung. «So wird die Energieversorgung nachhaltiger und auch günstiger.»
Beim klassischen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV), möglich seit 2018, teilen sich benachbarte Haushalte, die über einen gemeinsamen Hausanschluss verfügen, den selbst produzierten Strom (Eigenverbrauch). In der Regel sind dies die Parteien eines Mehrfamilienhauses, die Strom über die privaten Leitungen im Haus austauschen. Aber auch Haushalte oder andere Stromverbraucher wie KMU in benachbarten Gebäuden können sich zu einem ZEV zusammenschliessen, sofern die Gebäude durch eine private Leitung miteinander verbunden sind. Also der eigenverbrauchte Strom nicht über das öffentliche Netz fliesst. Bei der Gründung eines klassischen ZEV müssen private Stromzähler bei den Teilnehmenden installiert werden. Bei einem ZEV mit mehreren Gebäuden kann es notwendig sein, private Leitungen zu verlegen.
Smart Meter machen virtuelle Zusammenschlüsse zum Eigenverbrauch (vZEV) möglich, die seit 2025 gesetzlich geregelt sind. Private Zähler müssen hier nicht installiert werden. Es lassen sich gegen Entgelt die Smart Meter des Stromversorgers verwenden. Virtuelle ZEV bieten mehr Flexibilität, da nicht zwingend alle Parteien im ZEV-Perimeter mitmachen müssen und neu auch Anschlussleitungen bis zur Verteilkabine für den Eigenverbrauch verwendet werden können. Letzteres ermöglicht einen Zusammenschluss in einem grösseren Umkreis, und es können mehr Endverbraucherinnen und -verbraucher lokal produzierten Strom nutzen. Bei beiden Modellen gilt die ganze Gemeinschaft gegenüber dem Stromversorger als einziger Kunde.
Lokale Elektrizitätsgemeinschaften (LEG) sind seit Anfang dieses Jahres möglich. Voraussetzung ist, dass alle Teilnehmenden auf der gleichen Netzebene ans öffentliche Netz angebunden sind, im Versorgungsgebiet desselben lokalen Verteilnetzbetreibers liegen und zur gleichen Gemeinde gehören. Zudem muss die Produktionsleistung der LEG mindestens 5 Prozent der gesamten Anschlussleistung der beteiligten Endverbraucher ausmachen. Die LEG nutzt das öffentliche Verteilnetz, wobei aber nur reduzierte Netznutzungskosten anfallen. Hingegen können auch räumlich weiter voneinander entfernte Haushalte eine solche Gemeinschaft bilden. Die einzelnen LEG-Teilnehmenden bleiben Kunden des lokalen Stromversorgers, der mit ihnen den zusätzlich bezogenen Strom und die Netznutzung abrechnet.